Es ist ein regnerischer Herbsttag, als wir uns im Café Mondlicht treffen. Vera und ich setzen nur zögerlich unsere Masken ab. Heute ist das erste Mal meine kleine Tochter Lilly zum Interview dabei und schläft konsequenterweise die ganze Zeit. Es hat sich einiges getan, in der Welt und in meinem kleinen Universum. Dies wird deshalb das vorerst letzte Interview für den Blog Menschen in Gladbach sein. Warum, erkläre ich später. Doch nun zur Hauptperson: Vera Funk.
Ruhe und kluge Worte im Gepäck
Bei Vera fühlt man sich sicher. Wenn ich sie treffe, hat sie viel Ruhe und kluge Worte im Gepäck. Sie ist immer mit ganzem Herzen und offenem Blick anwesend. Keine Selbstverständlichkeit, erst recht nicht in Zeiten wie diesen. Turbulent ging und geht es im Leben der Gladbacherin ebenfalls zu. Ihr ist viel Gutes widerfahren, glücklicherweise, aber auch Lehrreiches. Und Lernen, das ist Veras Ding.
Das fing schon als Kind an. Da schraubte sie kaputte Radios, Uhren oder Toaster auseinander und wieder zusammen, einfach so. „Meine Mutter fand das nicht so prickelnd. Ich wollte aber schon immer wissen, wie Dinge funktionieren.“ Funktioniert haben die Geräte nach Veras Inspizierung umso besser. Technik lag ihr – und machte so viel mehr Spaß als die Haushaltsschule, auf die ihre Mutter sie zunächst verfrachtete. Ihr Steckenpferd machte sie deshalb auch zum Beruf: Heute ist Vera selbstständig im Webdesign und Online-Marketing tätig. Sie sagt: „Wenn ich etwas nicht verstehe, google ich das und klemm mich so lange dahinter, bis ich es verstanden hab.“ In Sachen Alter fällt sie mit ihren 58 Jahren zwar hier und da aus dem Rahmen, das stört aber weder Vera noch ihre Kunden: „Einmal ist es mir sogar passiert, dass ich eine Kundin im gleichen Alter hatte, die im Café erst einmal an mir vorbeigelaufen ist“, erzählt sie lachend, und ergänzt: „Hat sie aber nicht davon abgehalten, mich trotzdem zu beauftragen.“
„Mönchengladbach ist weiß Gott keine Schickimicki-Stadt“
Geboren ist sie im Krankenhaus Maria Hilf. Weil ihr Vater Tiefdrucker war, zogen Vera, ihre Mutter, ihre drei Jahre jüngere Schwester und ihr Vater mehrmals von Gladbach aus um und landeten etwa in Köln, Ahrensburg oder Freudenstadt. Dann trennten sich die Eltern und Vera, Schwester und Mutter zogen zurück nach Mönchengladbach. Da war sie sechs Jahre alt, und seitdem stand für sie nicht mehr zur Debatte, ihre geliebte Vitusstadt gegen eine andere auszutauschen. In Eicken ging Vera zur Schule, und blieb auch ihren Lieblingen in der Stadt stets treu. „Diese Ecke, Konzenstraße, Goethestraße, Windberg. Da sind wir immer geblieben.“ Veras Worte klingen nach, wenn sie, ein wenig abgeklärt, aber doch schwärmerisch von ihrer Stadt spricht: „Mönchengladbach ist weiß Gott keine Schickimicki-Stadt. Es ist eine Zusammensetzung von mehreren Dörfern und das merkt man. Aber es ist reichlich von Grün umgeben, man ist schnell in der Natur und in der Großstadt, wenn man mal was anderes um die Nase haben möchte.“ Den Bunten Garten sucht sie seit ihrer Kindheit auf und entdeckt immer noch mit Begeisterung neue Ecken, Pflanzen und Augenblicke. Auch für neue Menschen ist Vera offen: „Es kommt ja immer auf die Netzwerke an und darauf, welche Menschen du kennenlernst. Ich glaube, dass es überall auf der Welt nette Menschen gibt, wenn man sie denn findet.“
Das Netzwerken beherrscht Vera. So war sie schon 2011 Teil der Initiative Gründerzeitviertel, organisierte den Trödelmarkt auf dem Schillerplatz, das Vorleuchten am Adenauerplatz und die Nikolausfeier im Van Dooren. Das wohl größte Ereignis, dass die Bürgerinitiative mit Vera als Beirätin stemmte, war die 125-Jahr-Feier des Gründerzeitviertels auf der Bismarckstraße: „Das war wirklich ein voller Erfolg. Wir haben zwei Tage lang ein tolles Fest auf die Beine gestellt. Danach waren wir aber auch aus und alle. Neun Monate haben wir alles vorbereitet, mit zehn, zwölf Leuten.“ Nach vier Jahren verabschiedete sich die heutige Webdesignerin aus dem Beirat und hielt Ausschau nach neuen Zielen in der Stadt. Die fand sie etwa im Museumsverein des Museum Abteiberg und im BIS-Zentrum. Dort ist sie noch heute Mitglied. Dass Kunst und Kultur auch fernab von Bühnen und Museen stattfinden, weiß Vera nur zu gut. Sie fotografiert von der Straßenkunst verzierte Türen in der Stadt ebenso wie sonstige Hingucker oder ein Menü ihres Lieblingsrestaurants Frenzen. Vera selbst erfreut sich ebenfalls am Brutzeln, Köcheln und Backen. Am liebsten natürlich für Freunde, sobald das wieder möglich ist.
Kennengelernt haben Vera und ich uns über das Schreiben. Die Webdesignerin berichtet seit 2014 auf zauberhafte Weise auf ihren Blogs Funkgespräch und Funkgenuss – und in den sozialen Medien. Gefunden hat sie mich 2015 – und seit unserem ersten Treffen im Zorbas zusammen mit Luisa Sole pflegen wir eine Freundschaft, die mein Leben sehr bereichert. Tatsächlich auch auf beruflicher Ebene, weil Vera meine wunderschöne Homepage designt und ans Laufen gebracht hat. Schleichwerbung Ende.
„Ich bin menscheninteressiert“

Ich kann jedenfalls nur zustimmen, wenn Vera sagt: „Ich bin menscheninteressiert“. Sie ist neugierig, wissbegierig und wandelt fernab jeglicher Vorurteile. Deshalb tritt sie auch in den sozialen Medien als engagierte Kommentatorin gegen Hate Speech auf. Was Facebook angeht, ist die Sache für sie klar: „Ich finde es ganz verkehrt, mich da rauszunehmen, den Mund zu halten und den rechten Seiten die Macht zu übergeben. Wenn sich Unwahrheiten wiederholen, nehmen wir sie irgendwann als Wahrheiten wahr. Deshalb finde ich es auch wichtig, da Position zu beziehen.“
So tough war die Gladbacherin nicht immer. Das Selbstbewusstsein ihres 27-jährigen Ichs beschreibt sie heute als „wirklich unterirdisch“. Den Wendepunkt stellte zu diesem Zeitpunkt die Geburt ihrer Tochter dar, die sie als das größte Geschenk in ihrem Leben beschreibt. „Vorher hab ich mich mehr oder weniger treiben lassen. Ich fand immer Jobs und habe wohl auch ganz gut gearbeitet, wofür ich aber gar kein Bewusstsein hatte. Danach haben sich die Dinge geändert. Speziell auch nach der Trennung vom Vater meiner Tochter. Da waren wir ein Team und ich musste gucken, dass wir Kohle auf den Tisch kriegen“, so Vera. Nach langen Jahren als Kellnerin machte Vera eine Ausbildung zur Bürokauffrau, eine Zusatzausbildung zur Marketingfachfrau und eine Ausbildung zur SAP-Consultant. Zuletzt noch eine Ausbildung zur Social Media Managerin. „Ich tummel mich jetzt eigentlich seit knapp zehn Jahren im Marketing und bin da fest verankert. Die letzten Jahre vorwiegend Online Marketing und Webdesign und ich lieb das“, so Vera. Seit drei Jahren ist sie nun mit ihrem Webdesign-Unternehmen Funkkonzept selbstständig, fühlt sich pudelwohl und kann ihrer Kreativität, Menschen-, und Technikliebe freien Lauf lassen.
„Ich brauchte erst dieses Quantum an Wut, um mich zu bewegen.“
Der Weg dorthin war gespickt mit Erfahrungen unterschiedlichster Art, Ärgernissen und einigen doofen Chefs. Nach einem Beispiel gefragt, zögert Vera nicht lange: Ein Vertriebschef etwa rief sie ins Büro, weil sie als alleinerziehende Mutter viele Fehlzeiten hatte. „Es ist halt so“, erzählt Vera, „man wacht morgens auf, das Kind kotzt einem vor die Füße und man denkt: Oh, was mach ich denn jetzt?“ Trotz der zusätzlichen Krankheitstage, die sich wohlgemerkt im gesetzlichen Rahmen befanden, machte Vera auch Überstunden und brachte dem Unternehmen Erfolge ein. Diese von Vera selbstbewusst angebrachten Argumente überzeugten den ursprünglich Kündigungswilligen, wie sie erzählt: „Er war so verblüfft, dass ich nicht sofort klein bei gegeben habe. Ich habe dann eine Gehaltserhöhung bekommen.“
Ihre letzte Festanstellung gab ihr dann den finalen Schubser in Richtung Selbstständigkeit: Sie wurde gemobbt. Der federführende Kollege, seines Zeichens Marketingchef des Betriebs, gab ihre Ideen als die seinen aus und heimste dafür Lob ein. Vera neigt ihren Kopf ein wenig zur Seite und sagt: „Eigentlich bin ich diesem Menschen, der mich da gemobbt hat, inzwischen dankbar. Ich brauchte erst dieses Quantum an Wut, um mich zu bewegen.“ Und das hat sie. Mit dabei ist immer Tim, den sie auf ihrem Blog seit jeher liebevoll „den Engländer“ nennt. Ihr Herz eroberte er bei einer Vernissage mit seinem staubtrockenem Humor. Aufs Korn nahm er damals die ausgestellte und äußerst außergewöhnliche Kunst. Es gab viel zu lachen. Und: „Ab da hatten wir uns im Visier“, erzählt Vera strahlend. Sowohl der Humor als auch die Liebe sind geblieben, im Visier haben die beiden sich auch heute noch – inzwischen als Ehepaar.
Man darf gespannt sein, welche Projekte, Websites und Themen Vera in Zukunft beackert. Es dürfte spannend bleiben. Vera indes hält einfach, wie immer, Augen und Ohren offen. Und blickt positiv in die Zukunft. Als wir uns verabschieden und Lilly langsam zu unserem Tisch herüberblinzelt, sagt sie: „Ein Lebensmotto von mir ist: Das Wünschen ist sehr wichtig.“
Und wie geht es weiter?
Das finde ich auch, und danke Vera sehr für dieses wunderbare Gespräch, das wir sage und schreibe Ende September geführt haben. Im Juli ist unsere kleine Tochter Lilly auf die Welt gekommen und ist seitdem die Nummer eins. Wie Vera bereits sagte, verändert die Ankunft eines kleinen Menschen tatsächlich alles. Alle lapidar dahergesagten Sätze über das Mamasein, die ich als Nicht-Mama von mir gegeben habe, muss ich deshalb revidieren. Was ich ebenfalls sehr sicher weiß, ist: Ich kann aktuell keine stundenlangen Interviews transkribieren. Es macht mir nach wie vor unglaublich Spaß, aber nun ist erst mal etwas anderes „dran“. Ich werde euch deshalb auf dem Blog meiner Musikerhomepage nadine-sole.de auf dem Laufenden halten. Es wird um mich, meine Musik, Lieblingsmusik, hier und da auch Gesellschaftliches und auch das Mamasein gehen. 🙂 Vielen Dank fürs Lesen, den Zuspruch, den Interviewpartnern und überhaupt! ❤
Auf bald und alles Liebe, Eure Nadine