Vera Funk, Webdesignerin

Vera Funk, Foto: Meike Hahnraths

Es ist ein regnerischer Herbsttag, als wir uns im Café Mondlicht treffen. Vera und ich setzen nur zögerlich unsere Masken ab. Heute ist das erste Mal meine kleine Tochter Lilly zum Interview dabei und schläft konsequenterweise die ganze Zeit. Es hat sich einiges getan, in der Welt und in meinem kleinen Universum. Dies wird deshalb das vorerst letzte Interview für den Blog Menschen in Gladbach sein. Warum, erkläre ich später. Doch nun zur Hauptperson: Vera Funk.

Ruhe und kluge Worte im Gepäck

Bei Vera fühlt man sich sicher. Wenn ich sie treffe, hat sie viel Ruhe und kluge Worte im Gepäck. Sie ist immer mit ganzem Herzen und offenem Blick anwesend. Keine Selbstverständlichkeit, erst recht nicht in Zeiten wie diesen. Turbulent ging und geht es im Leben der Gladbacherin ebenfalls zu. Ihr ist viel Gutes widerfahren, glücklicherweise, aber auch Lehrreiches. Und Lernen, das ist Veras Ding.

Das fing schon als Kind an. Da schraubte sie kaputte Radios, Uhren oder Toaster auseinander und wieder zusammen, einfach so. „Meine Mutter fand das nicht so prickelnd. Ich wollte aber schon immer wissen, wie Dinge funktionieren.“ Funktioniert haben die Geräte nach Veras Inspizierung umso besser. Technik lag ihr – und machte so viel mehr Spaß als die Haushaltsschule, auf die ihre Mutter sie zunächst verfrachtete. Ihr Steckenpferd machte sie deshalb auch zum Beruf: Heute ist Vera selbstständig im Webdesign und Online-Marketing tätig. Sie sagt: „Wenn ich etwas nicht verstehe, google ich das und klemm mich so lange dahinter, bis ich es verstanden hab.“ In Sachen Alter fällt sie mit ihren 58 Jahren zwar hier und da aus dem Rahmen, das stört aber weder Vera noch ihre Kunden: „Einmal ist es mir sogar passiert, dass ich eine Kundin im gleichen Alter hatte, die im Café erst einmal an mir vorbeigelaufen ist“, erzählt sie lachend, und ergänzt: „Hat sie aber nicht davon abgehalten, mich trotzdem zu beauftragen.“

„Mönchengladbach ist weiß Gott keine Schickimicki-Stadt“

Geboren ist sie im Krankenhaus Maria Hilf. Weil ihr Vater Tiefdrucker war, zogen Vera, ihre Mutter, ihre drei Jahre jüngere Schwester und ihr Vater mehrmals von Gladbach aus um und landeten etwa in Köln, Ahrensburg oder Freudenstadt. Dann trennten sich die Eltern und Vera, Schwester und Mutter zogen zurück nach Mönchengladbach. Da war sie sechs Jahre alt, und seitdem stand für sie nicht mehr zur Debatte, ihre geliebte Vitusstadt gegen eine andere auszutauschen. In Eicken ging Vera zur Schule, und blieb auch ihren Lieblingen in der Stadt stets treu. „Diese Ecke, Konzenstraße, Goethestraße, Windberg. Da sind wir immer geblieben.“ Veras Worte klingen nach, wenn sie, ein wenig abgeklärt, aber doch schwärmerisch von ihrer Stadt spricht: „Mönchengladbach ist weiß Gott keine Schickimicki-Stadt. Es ist eine Zusammensetzung von mehreren Dörfern und das merkt man. Aber es ist reichlich von Grün umgeben, man ist schnell in der Natur und in der Großstadt, wenn man mal was anderes um die Nase haben möchte.“ Den Bunten Garten sucht sie seit ihrer Kindheit auf und entdeckt immer noch mit Begeisterung neue Ecken, Pflanzen und Augenblicke. Auch für neue Menschen ist Vera offen: „Es kommt ja immer auf die Netzwerke an und darauf, welche Menschen du kennenlernst. Ich glaube, dass es überall auf der Welt nette Menschen gibt, wenn man sie denn findet.“

Das Netzwerken beherrscht Vera. So war sie schon 2011 Teil der Initiative Gründerzeitviertel, organisierte den Trödelmarkt auf dem Schillerplatz, das Vorleuchten am Adenauerplatz und die Nikolausfeier im Van Dooren. Das wohl größte Ereignis, dass die Bürgerinitiative mit Vera als Beirätin stemmte, war die 125-Jahr-Feier des Gründerzeitviertels auf der Bismarckstraße: „Das war wirklich ein voller Erfolg. Wir haben zwei Tage lang ein tolles Fest auf die Beine gestellt. Danach waren wir aber auch aus und alle. Neun Monate haben wir alles vorbereitet, mit zehn, zwölf Leuten.“ Nach vier Jahren verabschiedete sich die heutige Webdesignerin aus dem Beirat und hielt Ausschau nach neuen Zielen in der Stadt. Die fand sie etwa im Museumsverein des Museum Abteiberg und im BIS-Zentrum. Dort ist sie noch heute Mitglied. Dass Kunst und Kultur auch fernab von Bühnen und Museen stattfinden, weiß Vera nur zu gut. Sie fotografiert von der Straßenkunst verzierte Türen in der Stadt ebenso wie sonstige Hingucker oder ein Menü ihres Lieblingsrestaurants Frenzen. Vera selbst erfreut sich ebenfalls am Brutzeln, Köcheln und Backen. Am liebsten natürlich für Freunde, sobald das wieder möglich ist.

Kennengelernt haben Vera und ich uns über das Schreiben. Die Webdesignerin berichtet seit 2014 auf zauberhafte Weise auf ihren Blogs Funkgespräch und Funkgenuss – und in den sozialen Medien. Gefunden hat sie mich 2015 – und seit unserem ersten Treffen im Zorbas zusammen mit Luisa Sole pflegen wir eine Freundschaft, die mein Leben sehr bereichert. Tatsächlich auch auf beruflicher Ebene, weil Vera meine wunderschöne Homepage designt und ans Laufen gebracht hat. Schleichwerbung Ende.

„Ich bin menscheninteressiert“

Mutter-Tochter-Liebe, Foto: Lulugraphie / Luisa und André Sole

Ich kann jedenfalls nur zustimmen, wenn Vera sagt: „Ich bin menscheninteressiert“. Sie ist neugierig, wissbegierig und wandelt fernab jeglicher Vorurteile. Deshalb tritt sie auch in den sozialen Medien als engagierte Kommentatorin gegen Hate Speech auf. Was Facebook angeht, ist die Sache für sie klar: „Ich finde es ganz verkehrt, mich da rauszunehmen, den Mund zu halten und den rechten Seiten die Macht zu übergeben. Wenn sich Unwahrheiten wiederholen, nehmen wir sie irgendwann als Wahrheiten wahr. Deshalb finde ich es auch wichtig, da Position zu beziehen.“

So tough war die Gladbacherin nicht immer. Das Selbstbewusstsein ihres 27-jährigen Ichs beschreibt sie heute als „wirklich unterirdisch“. Den Wendepunkt stellte zu diesem Zeitpunkt die Geburt ihrer Tochter dar, die sie als das größte Geschenk in ihrem Leben beschreibt. „Vorher hab ich mich mehr oder weniger treiben lassen. Ich fand immer Jobs und habe wohl auch ganz gut gearbeitet, wofür ich aber gar kein Bewusstsein hatte. Danach haben sich die Dinge geändert. Speziell auch nach der Trennung vom Vater meiner Tochter. Da waren wir ein Team und ich musste gucken, dass wir Kohle auf den Tisch kriegen“, so Vera. Nach langen Jahren als Kellnerin machte Vera eine Ausbildung zur Bürokauffrau, eine Zusatzausbildung zur Marketingfachfrau und eine Ausbildung zur SAP-Consultant. Zuletzt noch eine Ausbildung zur Social Media Managerin. „Ich tummel mich jetzt eigentlich seit knapp zehn Jahren im Marketing und bin da fest verankert. Die letzten Jahre vorwiegend Online Marketing und Webdesign und ich lieb das“, so Vera. Seit drei Jahren ist sie nun mit ihrem Webdesign-Unternehmen Funkkonzept selbstständig, fühlt sich pudelwohl und kann ihrer Kreativität, Menschen-, und Technikliebe freien Lauf lassen.

„Ich brauchte erst dieses Quantum an Wut, um mich zu bewegen.“

Der Weg dorthin war gespickt mit Erfahrungen unterschiedlichster Art, Ärgernissen und einigen doofen Chefs. Nach einem Beispiel gefragt, zögert Vera nicht lange: Ein Vertriebschef etwa rief sie ins Büro, weil sie als alleinerziehende Mutter viele Fehlzeiten hatte. „Es ist halt so“, erzählt Vera, „man wacht morgens auf, das Kind kotzt einem vor die Füße und man denkt: Oh, was mach ich denn jetzt?“ Trotz der zusätzlichen Krankheitstage, die sich wohlgemerkt im gesetzlichen Rahmen befanden, machte Vera auch Überstunden und brachte dem Unternehmen Erfolge ein. Diese von Vera selbstbewusst angebrachten Argumente überzeugten den ursprünglich Kündigungswilligen, wie sie erzählt: „Er war so verblüfft, dass ich nicht sofort klein bei gegeben habe. Ich habe dann eine Gehaltserhöhung bekommen.“

Ihre letzte Festanstellung gab ihr dann den finalen Schubser in Richtung Selbstständigkeit: Sie wurde gemobbt. Der federführende Kollege, seines Zeichens Marketingchef des Betriebs, gab ihre Ideen als die seinen aus und heimste dafür Lob ein. Vera neigt ihren Kopf ein wenig zur Seite und sagt: „Eigentlich bin ich diesem Menschen, der mich da gemobbt hat, inzwischen dankbar. Ich brauchte erst dieses Quantum an Wut, um mich zu bewegen.“ Und das hat sie. Mit dabei ist immer Tim, den sie auf ihrem Blog seit jeher liebevoll „den Engländer“ nennt. Ihr Herz eroberte er bei einer Vernissage mit seinem staubtrockenem Humor. Aufs Korn nahm er damals die ausgestellte und äußerst außergewöhnliche Kunst. Es gab viel zu lachen. Und: „Ab da hatten wir uns im Visier“, erzählt Vera strahlend. Sowohl der Humor als auch die Liebe sind geblieben, im Visier haben die beiden sich auch heute noch – inzwischen als Ehepaar.

Man darf gespannt sein, welche Projekte, Websites und Themen Vera in Zukunft beackert. Es dürfte spannend bleiben. Vera indes hält einfach, wie immer, Augen und Ohren offen. Und blickt positiv in die Zukunft. Als wir uns verabschieden und Lilly langsam zu unserem Tisch herüberblinzelt, sagt sie: „Ein Lebensmotto von mir ist: Das Wünschen ist sehr wichtig.“

Und wie geht es weiter?

Das finde ich auch, und danke Vera sehr für dieses wunderbare Gespräch, das wir sage und schreibe Ende September geführt haben. Im Juli ist unsere kleine Tochter Lilly auf die Welt gekommen und ist seitdem die Nummer eins. Wie Vera bereits sagte, verändert die Ankunft eines kleinen Menschen tatsächlich alles. Alle lapidar dahergesagten Sätze über das Mamasein, die ich als Nicht-Mama von mir gegeben habe, muss ich deshalb revidieren. Was ich ebenfalls sehr sicher weiß, ist: Ich kann aktuell keine stundenlangen Interviews transkribieren. Es macht mir nach wie vor unglaublich Spaß, aber nun ist erst mal etwas anderes „dran“. Ich werde euch deshalb auf dem Blog meiner Musikerhomepage nadine-sole.de auf dem Laufenden halten. Es wird um mich, meine Musik, Lieblingsmusik, hier und da auch Gesellschaftliches und auch das Mamasein gehen. 🙂 Vielen Dank fürs Lesen, den Zuspruch, den Interviewpartnern und überhaupt! ❤

Auf bald und alles Liebe, Eure Nadine

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Kurzinterview: Paul Sonn

Paul Sonn
Paul Sonn, Foto: privat

 

Vor einiger Zeit schrieb mich Paul Sonn an. Der 68-Jährige nutzt seinen Ruhestand, um in Eigenregie Geschichten aus seinem Leben aufzuschreiben. Dabei produziert der Mann mit der textilen Vergangenheit in Fließbandgeschwindigkeit. In ebensolchem Eiltempo entstehen auch seine Kinderbücher. Worum es darin geht und welche Rolle eine rosa Wolke für die Völkerverständigung spielt, hat er im Interview verraten. 

 

Genau wie Mönchengladbach hast Du eine textile Vergangenheit. Magst Du mir mehr darüber erzählen?

Da mein Vater bereits als Webmeister bei der Gladbacher Wolle arbeitete, schlug ich als Vierzehnjähriger, der gerade aus der Volksschule kam, ebenfalls eine textile Laufbahn ein. Ich entschied mich für eine Lehre als Tuchmacher, um dann meinen weiteren erfolgreichen Weg in der Textilindustrie zu bestreiten. Über den zweiten Bildungsweg holte ich die Fachhochschulreife nach und habe, nachdem ich die Meisterprüfung ablegte habe, noch vier Semester Textiltechnik studiert. Später habe ich mich mit einer Textilagentur selbstständig gemacht und über zwanzig Jahre für einen hochwertigen italienischen Weber Stoffe an führende Konfektionäre in Deutschland vermittelt.

Wie bist Du zum Schreiben und Zeichnen gekommen?

Wie die Jungfrau zum Kind. Unsere Kinder waren der Ansicht, dass ich und wir so viel erlebt hätten und es auch für für die Nachwelt interessant sei, etwas über unser Leben zu erfahren. Und so habe ich mich am 29. August 2011 hingesetzt und angefangen, mein erstes Buch zu schreiben. Ich schrieb wie ein Besessener und meine Erinnerungen überschlugen sich. Ohne vorher etwas zu notieren, schrieb ich einfach drauf los und hatte nach sechs Wochen 264 Seiten zusammen. Zeitgleich habe ich angefangen, mein erstes Kinderbuch zu schreiben und passend zu den Geschichten die Bilder kindgerecht zu zeichnen. Anders zeichnen kann ich auch nicht.

Wann hast Du Dein erstes Buch veröffentlicht und worum ging es?

Im Frühjahr 2012 habe ich mein erstes Buch, „Gerade deshalb, die Kurve habe ich trotzdem geschafft“ im Eigenverlag veröffentlicht. Eine Art Familiensaga. Wobei das zweite Buch über meine Kinder-und Jugendzeit in den fünfziger und sechziger Jahren sofort folgte. Nachdem einige Zeitungen sehr positiv darüber berichteten, rannte man mir mehrere Wochen lang fast die Bude ein. Unter den Rückmeldungen, die ich bekam, befanden sich mehrere LeserInnen, die mit dem Stadtteil MG-Holt gar nichts an der Backe hatten, sich aber durch meine Erlebnisse ebenfalls an ihre Kinder- und Jugendzeit erinnerten. Das war auch genau mein Anliegen.

Welche Geschichten erzählst Du heute in Deinen Büchern?

Heute schreibe ich fast ausschließlich Kinderbücher. Meine erste Serie über die fünfjährigen Zwillinge Jakob und Johanna, die hoch oben in den Bergen auf einem Bauernhof mit ihrer Familie leben, ist sehr gut angenommen worden. Mir lag dabei besonders eine rheinische Schreibweise am Herzen. Anschließend folgten die Geschichten von „Paulchen + Paulinchen“, die auf einer rosa Wolke lebend, Kinder auf der ganzen Welt besuchen. Sie lassen sich vom Wind treiben und dort, wo sie Kinder sehen und deren Geschichten erfahren wollen, sagen sie einen Zauberspruch auf. Die rosa Wolke hält dann an. Ein Zauberkoffer, der den Kindern ermöglicht, überall die gleiche Sprache zu sprechen, wird geöffnet. Dieses Kinderbuch wurde auf der Buchmesse 2015 in Frankfurt von einem Verlag vorgestellt. Was für ein tolles Gefühl! Als meine Heimatstadt Mönchengladbach von einer Künstlerin (Rita McBride, Anm. menscheningladbach) sieben Esel aus Bronze geschenkt bekam, die auf dem Sonnenhausplatz stehen, kam mir die Idee, dass die Protagonisten Paulchen und Paulinchen durch Zufall ihre Heimatstadt besuchen. Die Esel wurden ein großer Bestandteil meines nächsten Kinderbuches, das Ende 2016 erschienen ist.

Was ist als nächstes geplant?

Kinderbuch Nummer fünf. In diesem Buch fliegen Paulchen und Paulinchen mit ihrer rosa Wolke von Frankreich kommend über die hohen Berge und entdecken durch Zufall den Bauernhof, wo Jakob und Johanna, aber auch ihre zwei weiteren Geschwister Matilda und Klara – übrigens meine beiden Enkelkinder – ihr Zuhause haben. Alle Kinder erleben zwei wundervolle Tage, nicht nur auf dem Bauernhof. 

Wie kann man sich die Entstehung der Bücher vorstellen?

Das kann ich nur schwer beantworten, da ich mir bis heute nie Gedanken darüber gemacht habe, was, wie und worüber ich genau schreibe. Ein Konzept kenne ich ebenfalls nicht. Bei mir ist es so, dass ich mich an den Computer setze und anfange zu schreiben. Ob es ein Kinderbuch, ein Roman, oder Zeitgeschichte ist. Und so kann es manchmal nur sechs Wochen dauern, oder, wenn die Geschichten von mir illustriert werden etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen.

Welches ist Dein liebster Ort in Mönchengladbach und warum?

Da gibt es einige schöne und sehenswerte Orte. Gerne sitze ich aber auch am Sonnenhausplatz im Café Hoffmanns und beobachte die Kinder, die die sieben Esel ganz toll finden und auf ihnen reiten können. Dort ist bis Oktober auch eine Ausstellung meiner Bilder zu sehen.

Was wünschst Du Dir für die Stadt? Und für Dich?

In den letzten Jahren hat sich meine Heimatstadt mehr als gemausert. Allen kann man es aber nicht recht machen. Ich finde Mönchengladbach großartig und wohne sehr gerne hier. Natürlich hinkt der Vergleich mit Düsseldorf oder anderen Großstädten gewaltig. Ich persönlich wünsche mir vor allem Gesundheit. Und dann wird es sicherlich das eine und andere Buch geben. Worüber ich schreiben werde? Keine Ahnung.

Paul Sonns Illustrationen sind bis Oktober im Café Hoffmanns am Sonnenhausplatz zu sehen.

 

Uwe „John“ Born, Musiker

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Uwe mit Blick nach vorn, Foto: Sascha Hölterhoff

„Privat am Anschlag“

Kennengelernt habe ich Uwe, der als Sänger und Songwriter den Vornamen „John“ trägt, in Viersen. Bei einem Songslam im Käffchen verzauberte er mit seiner Stimme, Texten vom Aufbruch und sehr feinem Gitarrenspiel. Im Herbst lud ich ihn dann zu einem Interview mit Flammkuchen zu mir nach Hause ein. Im Gegenzug hatte der Musiker seine Gitarre im Gepäck. Der 41-Jährige, den es inzwischen mit seiner Familie nach Glehn verschlagen hat, lacht viel und sitzt mit wachen Augen auf der Couch. Als wir uns treffen, ist Baby Nummer drei unterwegs. Seit Ende Oktober ist die kleine Frida nun auf der Welt. Familie Born ist zu fünft. Einer der Gründe für die Auszeit, die sich der Musiker gerade gönnt: „Ich war privat ein bisschen am Anschlag. Außerdem brauche ich auch mal wieder eine kreative Pause, so dass Output kommt. Ich habe in den letzten Jahren über 100 Auftritte gemacht. Neben der Arbeit und neben der Familie. Aber hat Spaß gemacht“, berichtet Uwe lachend.

Von Tomaten und kölschen Liedern

Lustig findet der Musiker auch, wenn Leute nicht wissen, ob sie ihn nun Uwe oder John nennen sollen. Privat ist er, „ganz klar, Uwe“. Mit dem Namen huldigt er schlicht seinen Helden – den Johns namens Lennon und Frusciante. Ab 2012 war der Sänger und Gitarrist neben seiner Arbeit im Vertrieb als Solokünstler unterwegs. Mal mit Musikern, mal allein mit seiner Gitarre. Als Highlight nennt er unter anderem den Auftritt als Vorband von Klaus „Major“ Heuser, dem ehemaligen Gitarristen von BAP, vor ausverkauftem Haus. Mit 15 Jahren startet Uwe mit der Musik. „Eigentlich recht spät“, sagt er. Den Grund dafür erfahre ich erst später. Zunächst erzählt er von seinen Anfängen als Sänger in einer Schülerband. Als Karaokesänger geht es weiter. Der Musiker wagt es sogar, bei der Kölner Institution Linus‘ Talentprobe mitzumachen. „Da bin ich Dritter geworden. Das war krass, vor tausend Leuten zu singen. Wenn jemand schlecht ist, werfen die Zuschauer mit Tomaten oder singen kölsche Lieder.“

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Der Mann mit Mütze. Foto: Roland Fulde

„Immer noch süchtig“

Nach diesem Erfolg geht es für Uwe munter weiter: „Ich habe dann irgendwann doch mal Gesangsunterricht genommen. Hier und da ein paar Gitarrenstunden.“ Die erste Klampfe kauft er sich mit 21 Jahren. Über das Spielen sagt er: „Es gibt ja viele in meinem Alter, die die Gitarre nicht mehr anfassen. Ich bin immer noch süchtig.“ Das verrät auch der Tagesablauf des gelernten Einzelhandelskaufmanns: Jeden Morgen von sechs bis sieben Uhr, vor der Arbeit, übt der 41-Jährige. Nebenher singt er in einer Blues-Band. Auf die Frage, ob er ehrgeizig sei, sagt er: „Eher geradlinig.“ Dazu gehört das Üben am Morgen: Aufstehen, Kaffee, Gitarre. Fingerstyle-Blues und besondere Pickings stehen auf dem Programm. Trotz Auftrittspause – aufhören könnte er nie, macht er mit Nachdruck klar: „Ich brauche das. Wie die typischen Zocker. Die hängen an ihren Konsolen, ich an meiner Gitarre.“

„Gitarre auf Reisen“

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Beruf: Account Manager, Foto: Martin Müllner

Themen seiner Lieder sind „das Leben, die Liebe, die Dummheit der Menschen“. Songideen kommen ihm an den verschiedensten Stellen. „Mir fallen manchmal Songstrukturen im Auto ein. Dann fahre ich auf den Parkplatz und schreibe sie auf. So ist ‚Der Moment gehört mir‘ entstanden.“ Prompt spielt Uwe auf meiner Couch los. Klingt nach Fahrtwind, persönlichen Einblicken und guter Laune. Als Account Manager, also Außendienstler im Vertrieb, ist der Mann mit Mütze tatsächlich öfter innerhalb Deutschlands unterwegs. Auf seiner Facebookseite hat er deswegen auch die Rubrik „Gitarre auf Reisen“ eröffnet. Das Saiteninstrument kommt stets mit. Zum Runterkommen am Abend empfiehlt er außerdem die Serie Nashville. (Kleine Anmerkung meinerseits: Diese habe ich inzwischen übrigens selbst angetestet und verschlungen. Soviel vorab: Es geht um Musik. Und Dramen. Und Liebe. ♥)

„Scheiß Kindheit“

Fragt man Uwe nach seinen Wünschen, ist die Antwort bescheiden: „Ich sage nicht, in fünf Jahren möchte ich da oder dort sein. Ich bin nur ehrgeizig im Hinblick darauf, ein glücklicher Mensch zu sein. Dazu gehört für mich einfach Weiterentwicklung. In der Familie, als Musiker oder im Beruf. In dieser Reihenfolge.“ Selbstverständlich ist das Glücklich-Sein für Uwe nicht immer gewesen. Während unseres Gesprächs wird klar, dass er sich seinen Status Quo mühsam erarbeitet hat. „Ich hatte eine scheiß Kindheit“, sagt er. „Es war richtig hart.“ Seine Mutter sei eine „sehr naive Person“ gewesen, erklärt er. Diese geriet immer an die falschen Männer. „Der eine war Alkoholiker. Der andere ein richtiges Schwein, der sie auch geschlagen hat. Mit zehn habe ich das dann nicht mehr ausgehalten. Von meinem zehnten bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr war ich im Jugendhaus am Steinberg.“

„Liebe ist angeboren“

Die Entscheidung, im Heim aufzuwachsen, trifft Uwe allein. Und bereut sie nie. Zu seinen Erziehern hat er heute noch Kontakt. Die Zeit im Jugendhaus beschreibt er als „absolut positiv.“ Eine Flucht aus dem Nicht-Aushaltbaren. Gefehlt hat es ihm an nichts – auch wenn er keine Mutterliebe erfahren hat. Uwe meint: „Ich glaube nicht, dass ich dadurch ein schlechterer Vater bin. Ich glaube, Liebe ist angeboren.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, finde ich. Und bin beeindruckt. Stolz ist Uwe auch ein wenig: „Für den Start, den ich hatte, habe ich doch ein bisschen was auf die Kette gekriegt.“ Oder auch: ziemlich viel. Danke, Uwe, für deine Offenheit und das wunderbare Konzert im Anschluss.

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Privatkonzert auf der Couch. Eine Ehre! Foto: menscheningladbach

Claudio Ghin, Autor

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Claudio Ghin, Eisliebhaber; Foto: privat

 

„Hallo, Tschüss!“

An einem der letzten Sommertage treffe ich Claudio Ghin. Ein wenig skeptisch lächelnd winkt mir der schlanke Mann mit dem grauen Hoodie zu, während ich auf das Van Dooren zusteuere. Seine Facebook-Postings, die oft mit „Hallo, Tschüss“ anfangen und seine feinen, stimmungsgebenden (und -hebenden!) Worte für die Pressetexte von Greta und Claus haben mich neugierig gemacht. Wir setzen uns direkt vor die Kaffeemaschine und Claudio sagt: „Ich hab dir was mitgebracht.“ Er überreicht mir „Auf einem Auge Herbst“, sein Erstlingswerk, das in diesem Jahr erschienen ist. Eigentlich schon beeindruckend genug, in Kurzgeschichten mit den richtigen Worten um sich werfen zu können. Der 33-Jährige arbeitet außerdem als Werbetexter bei Team WFP. 2013 zog er wegen des Jobs in die Stadt. Dass er aus Paderborn nach Mönchengladbach gekommen ist, hört sich aufgrund seiner Familiengeschichte fast schon schicksalhaft an. Claudios Vater kam als italienischer Gastarbeiter nach Rheydt, um dort in einer Kabelfabrik zu arbeiten. Außerdem trug er das Fohlenecho aus. Dabei lernte er Claudios Mutter kennen, wie der Autor erzählt: „Der Legende nach war mein Vater verlobt und alle haben ihm gratuliert, nur meine Mutter nicht. Sie ist zu ihm hingegangen und hat gesagt, was ihm einfallen würde, sich zu verloben. Dann hat er sich entlobt und sie sind zusammengekommen.“

„Bestimmt aus Chemnitz“

Genauso hartnäckig wie seine Mutter an seinem Vater hielt Claudio am Texten fest. Mit elf Jahren verfasst er die ersten Märchen, in seiner „Sturm und Drang-Phase“ Gedichte. Als er mit 23 Jahren ein Buch seines Lieblingsautors Selim Özdogan geschenkt bekommt, beginnt er, sich seinem Vorbild entsprechend in Kurzgeschichten auszudrücken. Doch zunächst zu den Anfängen: Während seiner Jugend lebt Claudio mit seinen Eltern und seinen Geschwistern im Sauerland. Dort stößt sein kreatives Talent nicht ausschließlich auf Zuspruch: „Als die Nachbarn mich das erste Mal vor der Pizzeria meines Vaters haben kehren sehen, haben sie zu ihm gesagt: ‚Den schickste aber besser auf die Uni. Nicht mal kehren kann der.’“ Wir lachen und es ist spürbar, dass es nicht immer so witzig war, wie der Autor es jetzt erzählt. Aber Claudios Augen blitzen und man glaubt ihm sofort, wenn er sagt: „Der Anspruch ist immer der gewesen, die Leute zu unterhalten. Das hatte ich schon als kleiner Junge. Ich fand es gut, wenn alle gelacht haben.“ Und gelacht wird reichlich. Der 33-Jährige nimmt sich im einen Moment auf die Schippe („Man könnte auch denken, der heißt Claudio, der ist bestimmt aus Chemnitz“) und erzählt im nächsten Moment von den komplexesten Schreibvorgängen.

„Durch den Dreck an die Luft“

Vom sauerländischen Dorf geht es für ihn nach Paderborn. Zehn Jahre lebt und studiert er dort, lernt die Szene und seinen heutigen Verleger kennen. In einer kleinen Werbeagentur, „einem Büdchen“, bekommt Claudio während seines Studiums der Germanistik und der Kulturwissenschaftlichen Anthropologie ein Praktikum. Die Kollegen animieren ihn schließlich, auch Texte für Poetry Slams zu schreiben. Acht Jahre tritt Ghin als Slammer auf, allerdings schwanken die Abende von großartig zu so la la: „Du wusstest nie, was passiert. Und wenn du drei Stunden unterwegs bist und es dann verkackst, dann denkst du dir, das lohnt sich doch nicht. In dieser sehr kurzen Zeit muss es ja auch immer performativ sein. Wobei ich eigentlich sehr gerne lese. Und ich mag lieber Sachen, die nicht so performativ sind. Wolfgang Herrndorf. Wo du dich in den Text reinkuschelst und gut fühlst.“ Das Texten selbst muss Claudio sich erarbeiten. Als er 2005 den ersten Slam-Text in der Agentur vorträgt, ist die Reaktion unangenehm: „Ich lese den Text vor. Und allen fällt alles aus dem Gesicht und sie wissen nicht, wie sie mir sagen sollen – das ist die letzte Scheiße.“ Nach und nach analysiert Claudio, was funktioniert – und was nicht funktioniert. Aufgeben ist für ihn zu keinem Zeitpunkt eine Option: „Irgendwas in mir war davon überzeugt, dass das alles noch irgendwie wird. Und ich hatte auch keinen besseren Plan“, sagt er grinsend. Auch als er sich auf jetzt.de anmeldet und seine „Befindlichkeiten“ teilt, muss er zunächst „digitale Dresche“ einstecken. Gelohnt hat es sich allemal. Von jetzt.de wechselt er zu neon.de, „weil mir das zu elitär-süddeutsch war“, und macht sich als Mister Gambit einen Namen. Er sagt: „Natürlich gibt es Naturtalente und diejenigen, die ganz stumpf kopieren, was andere machen. Die übersteigen dieses Niveau dann auch nie. Aber bei mir war es durch den Dreck an die Luft. Da musste man halt erst in die Knie gehen und sich die ganze Scheiße drauf schaffen. Das war beim Werbetexten so wie beim Prosa-Schreiben.“

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Posieren am Schillerplatz

„Ein ganz normales Alltagsproblem“

Seine Kurzgeschichten der letzten sechs Jahre sind nun in Buchform erschienen und haben einen thematischen Anker: „Wenn es darum geht, ob Menschen zusammen sind und glücklich, das packt mich immer. Ich habe mich im Kindergarten das erste Mal für ein Mädchen interessiert. Und das Thema ist mir auch nie langweilig geworden. Das war irgendwie wie ein Motor.“ Was im Krimi das Verbrechen, ist bei Ghins Kurzgeschichten das Zwischenmenschliche. Mal abstrus, mal klassisch. Busfahrten können genauso der Aufhänger einer Geschichte sein wie die Meerjungfrauen-Vergangenheit einer Angebeteten: „Da ist dann mein Anspruch, es so zu erzählen, dass es nicht süß ist, sondern ein ganz normales Alltagsproblem. Ich glaube, das funktioniert nämlich nicht, wenn man noch zwei Tüten Zucker drüber kippt.“ Genauso strategisch wie in seinen prosaischen Texten geht der Autor in seinem Job vor. Während seine Eltern davon überzeugt waren, Claudio würde in der Werbebranche sein Talent verschwenden und ihm vehement zur Lehrer-Karriere rieten („Meine Mutter hat immer gesagt, da hast du jeden Tag zwanzig Mark unterm Kissen, wenn du aufwachst“), sieht der Werbetexter das inzwischen anders: „Ich glaube, dass es gar nicht so leicht ist, Werbetexter zu ein und dass man auch ziemlich klug dafür sein muss.“

„Slogans aus der H&M-Kabine“

Bewegung und Hirnauslüftung sind für Claudio probate Mittel zur Ideenfindung: „Ich denke viel nach. Das macht es mir manchmal schwer, meinen Kollegen von der Pixelfront klarzumachen, dass ich auch gerade arbeite. Weil ich immer durch die Gegend laufe. Ich muss mich bewegen zum Denken. Nur denke ich von morgens bis abends. Für mich ist das ein echter Vollzeitjob. Ich lebe das. Man kann generell nicht sagen, jetzt ist Feierabend. Ich habe auch schon mal irgendwelche Slogans aus der H&M-Kabine an meinen Chef geschickt, wenn mir noch was eingefallen ist.“ Abschalten kann Claudio beim Duschen oder Busfahren. Außerdem dreht er jeden Abend eine Runde durch den Bunten Garten. Auf Facebook praktiziert er „Sprachgeballer“ und veröffentlicht kleine Comics. Ansonsten arbeitet er langsam an neuen Kurzgeschichten. In den letzten anderthalb Jahren ist allerdings nichts Neues entstanden, was Claudio als „ziemliche Bremse“ empfindet. Auf die Gründe angesprochen, nennt er „die Angst, sich zu wiederholen.“ Und fügt hinzu: „Wobei es ja eigentlich Schwachsinn ist. Dann wiederholt man sich halt. Nick Hornby wiederholt sich seit acht Büchern. Und trotzdem lese ich sie alle gerne.“ Selbstkritisch sagt der Mann mit dem tätowierten Fuchs auf dem Unterarm: „Das Problem ist, dass ich zwischendurch zu streng mit mir selber bin. Mir fehlt vielleicht ein bisschen die Lockerheit, was das Schreiben angeht.“ Liest man den Claus-Text, ist man frohen Mutes, dass die Lockerheit sehr bald auch wieder in die Kurzgeschichtengebilde des Autors einziehen. In diesem Sinne, auf bald, Wortfuchs Claudio Ghin. Hallo, Tschüss!

Das sehr empfehlenswerte „Auf einem Auge Herbst“ ist im Lektora-Verlag erschienen. 

Am 25.11. liest Claudio im Viersener käffchen am Steinkreis aus seinem Buch. 

Kurzinterview: Christian Kaufmann, Bergspurt

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Der Berg ruft! Foto: Christian Kaufmann

Wenn Christian Kaufmann nicht gerade  mit seinem IT-Job beschäftigt ist, oder für sein Gladbacher Klamottenlabel Bergkönig hübsche Hoodies, Mützen oder sonstige Streetwear entwirft, organisiert der 37-Jährige den Bergspurt. Dieser findet am 18. September bereits zum dritten Mal statt. Im Kurzinterview verriet er mir, wie es zu dem Radrennen kam und wie das Rennen abläuft.

Christian, wie kamst du auf die Idee, ein Radrennen in Gladbach zu organisieren?

Nachdem wir vor einigen Jahren bei einem sehr coolen und freakigen Mountainbikerennen in der Pfalz waren, haben wir uns gedacht: So was Ähnliches müssen wir auch bei uns in good old MG-Action-Town aufziehen. Wir haben angefangen, ein Konzept zu schreiben und waren auf der Suche nach der perfekten Location. Da der Monte Clamotte, ein ehemaliger Schuttberg, die höchste Erhebung in MG ist, bot sich dieser natürlich an.

Wie ging es dann weiter?

Es folgte Kontaktaufnahme mit der Stadt, Konzeptvorstellung, etc. Wir waren wirklich positiv überrascht, dass die Stadt uns keine Steine in den Weg gelegt hat und die Sache toll fand.

Was ist das Besondere am Rennen?

Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass es ein Independent und Fun-Rennen ist. Es gibt einige Fahrer, die nach drei Runden erst mal eine Pause machen und ein Bier trinken. Also alles sehr entspannt.

Wie kann man sich den sportlichen Ablauf vorstellen?

Bei unserem ersten Rennen ging es noch darum, in der schnellsten Zeit vom Fuß des Berges nach oben zu fahren. Es war definitiv witzig. Es hat sich aber gezeigt, dass es für die Zuschauer eher nicht so Interessant ist, da sie die Zieleinfahrt nicht mitbekommen. Zudem hatten wir Probleme mit der Zeitnahme. Deshalb haben wir das Konzept verändert. Wir haben nun ein  Drei-Stunden-Zeitfahren auf einem Rundkurs mit Berg. Die Fahrer starten in Form eines Le Mans-Massenstarts auf der großen Wiese und fahren dann an den Zuschauern vorbei auf den Berg. Der Rundkurs ist circa drei Kilometer lang. Gewinner ist derjenige, der die meisten Runden gefahren ist.

… und demjenigen winken Ru(h)m und Ehre?

Die ersten drei Plätze werden mit Sachpreisen, beispielsweise einer kostenlosen Mitgliedschaft im Fitnessstudio oder Klamotten, prämiert und der Fahrer mit dem besten Kostüm erhält einen Sonderpreis. Verkleidet Fahren ist also definitiv gerne gesehen.

Wie sieht es mit der Verpflegung aus?

Für das leibliche Wohl ist natürlich gesorgt. Würstchen, Kuchen, Kaffee, Softdrinks, Bier sind vorhanden. Die Fahrer erhalten auch noch zusätzlich ein wenig Nahrung und Getränke.

Wer kann mitfahren?

Mitfahren kann aber jeder, der sich auf einem Rad halten kann. Helm ist Pflicht und man sollte eine Art Mountainbike besitzen, da es Abfahrten über zwei bis drei Stufen gibt. Möchte jemand aber auch mit seinem Hollandrad fahren, wird das auch gehen- irgendwie.

Fährst Du selber mit?

Jedes Jahr fahre ich eine Runde. Mehr schaffe ich leider aufgrund der Orga nicht. Es ist halt doch schon etwas stressig an dem Tag. Zum Glück haben wir aber viele Freunde, die uns komplett unterstützen und helfen. Ansonsten könnte der Bergspurt nicht stattfinden.

Wann und wo findet der Bergspurt in diesem Jahr statt?

Der Bergspurt findet dieses Jahr zum dritten Mal am 18.09.2016 am Monte Clamotte am Rheydter Stadtwald statt. Der Eintritt ist frei. Veranstaltungsbeginn ist um 11 Uhr, Start des Rennens um 12 Uhr. Rennende ist um 15 Uhr und dann läuft die Veranstaltung langsam aus, so dass wir gegen 17 Uhr ungefähr anfangen einzupacken.

 Wie kann man sich anmelden?

Auf dieser Seite: https://bergkoenig.wordpress.com/2016/01/06/bergspurt-2016/

Silke Müller, Bookerin

Silke in Aktion
Silke in Aktion, Foto: Katrin Chodor

 

„Gewuppt“

In ihrem Zuhause in einem ruhigen Sträßchen in Hehn erwartet mich Silke Müller. Ich erinnere mich noch ziemlich genau an unsere erste Live-Begegnung im Frühjahr 2014. Bei einer Pressekonferenz erzählte sie damals voller brennender Leidenschaft davon, wen sie für das damalige HORST-Festival gebucht hatte. Dass direkt im Anschluss an den offiziellen Teil AnnenMayKantereit auf dem Vorplatz der Kulturküche spielten, sagt so ziemlich alles über den guten musikalischen Riecher der 29-Jährigen. Kurzum, ich war sofort Fan von ihr und ihrer Arbeit. Diese verrichtet sie inzwischen seit über zwei Jahren im Sparkassenpark und holte schon Künstler wie Deichkind und Jan Delay in die Vitusstadt. Heute Abend ist aber fast privat, außer dass ich das Band mitlaufen lasse und dafür Strom schnorren muss. Ansonsten stehen gefüllte Tomätchen, grandioses Brot und Oliven bereit. Hier in Hehn wohnt sie in einem „eigentlich zu großen Haus“. Zum Kauf des Eigenheims sagt sie: „Ich sehe es als Projekt. In einem Kollektiv aus vielen Freunden und Verwandtschaft haben wir das Ding gewuppt.“

„Coole Stelle“

Aufgewachsen ist Silke in Gubberath (man könnte auch schreiben in Jüchen, das klingt jedoch nicht halb so süß). Nach der Realschulzeit im beschaulichen Grevenbroich sagt sie sich: „Fickt euch. Ich will nicht hier bleiben.“ Neue Leute kennenlernen und was Neues sehen stehen stattdessen auf dem Programm. Sie wechselt auf das Maria-Lenssen-Berufskolleg in Rheydt, nimmt jeden Tag eine gute Dreiviertelstunde Weg auf sich und macht ihr Fachabitur im Sozial- und Gesundheitswesen. Im Anschluss folgt ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Behinderteneinrichtung im israelischen Herzliya. Warum ausgerechnet Israel? „Ich flieg nicht so gerne. Da dachte ich, warum nicht mal das angrenzende europäische Ausland. Ich wollte aber auch weg sein. Es hätte nicht gereicht, wenn ich nach Dänemark oder Italien gegangen wäre.“ Eine Grevenbroicher Freundin hat zuvor außerdem einen iraelischen Austauschstudenten zu Besuch. Entschlossen fährt Silke deshalb nach Gießen zu einem Treffen des Deutsch-Israelischen Vereins. „Die Leute, die mit mir da hinfuhren, die einen waren in Jerusalem, die anderen in Tel Aviv, schienen alle ganz gut drauf zu sein. Es wurde eine Menge Alkohol konsumiert auf diesen Seminaren, habe ich festgestellt. Dann habe ich mir eine coole Stelle gesucht.“

Silke und Flimm_Filter
Das Mitbringsel, ein Eckes Edelkirsch, erzeugt bei Silke sichtbar Freude – und Skepsis bei Flimm. 🙂  Foto: menscheningladbach / Nadine Beneke

„Es tut keinem weh, anderen den Arsch abzuwischen“

Wer nun meint, es sei der damals 18-Jährigen ums Feiern gegangen, irrt. Ihre Aufgabe vor Ort ist es, in einer Einrichtung für Menschen mit geistiger und zum Teil körperlicher Behinderung den Alltag aufzulockern. Sie erzählt: „In meiner Gruppe waren von dreißig Leuten zwei, mit denen man einen Satz wechseln konnte. Autisten, viele schwere Downies. Aber ich konnte mich damals komplett darauf einlassen. Ich hatte null Berührungsängste. Null. Keine Barriere.“ Diese Erfahrung ist nun zehn Jahre her, zu einer „halbwegs sicheren Zeit“. Vor kurzem war Silke noch einmal dort und berichtet: „Es sind viele Tränen geflossen.“ Freundschaften und die Lebensart lernt sie in Israel ebenso zu schätzen wie die Kultur- und Musikszene. Zum Thema FSJ hat sie außerdem eine klare Meinung: „Ich bin absoluter Verfechter davon, dass man das als Pflicht einführen sollte. Es tut keinem weh, ein Jahr lang anderen Leuten den Arsch abzuwischen.“ Silkes ehrliche Art ist entwaffnend und reißt mit. Kein Wunder, dass sie die Agenturen von Deichkind und Co. überzeugen kann, Zwischenstopps in Mönchengladbach einzuplanen.

Auf Vertrauensbasis

Ihre große Liebe zur Musik beginnt bereits im Teenie-Alter. Sie erzählt: „Es war jetzt nicht so, dass ich über meine Eltern oder meine Geschwister musikalisch geprägt wurde, sondern eher über den Freundeskreis.“ „The Process of Belief“ von Bad Religion nennt Silke als eine der Platten, bei der sie sich auch „Mittags um zwölf ein Bier aufmachen“ würde – „weil ich da so viele geile Erinnerungen dran hab.“ 2002, als die Platte rauskommt, besucht die junge Frau ihr erstes Festival, das Haldern Pop. „Ich hab einen krass älteren Freundeskreis gehabt. Ich war 14, 15, die waren alle so 19, 20. Viele Leute, mit denen ich dann nachher zusammen Musik gemacht hab. Meine Eltern haben sich eigentlich nie quergestellt. Ich habe nie harte Drogen konsumiert oder Alkoholexzesse gehabt in meiner Jugend. Das war einfach eine gute Vertrauensbasis.“ Von 2002 bis 2009 spielt sie Gitarre in einer eigenen Band: „Wir hießen zuerst Bootsmann und haben uns dann umbenannt in Noesis und hatten auch einen richtigen Proberaum. Dafür ist mein ganzes Taschengeld draufgegangen.“ Durch das Organisieren der eigenen Konzerte („weil wir nicht die geilste Band der Welt waren“) kommt Silke schließlich auf den Geschmack. Nach ihrer Rückkehr aus Israel studiert sie Kulturpädagogik im Bachelor, „was eine großartige Idee war“, wie sie rückblickend sagt. Ihr Praxissemester absolviert sie beim Landesmusikrat in Düsseldorf, wo sie unter anderem Kölner Beschwerdechor betreut: „Ein Meckerchor. Das war echt ein interessantes Projekt.“

„Da schlummert ein kleiner Wanderzirkus in mir“

Nicht nur interessant, sondern ihr Herzensprojekt wird das HORST-Festival, das 2009 von Olli Leonards angestoßen seine Premiere feiert. Zunächst in der Presse- und Offentlichkeitsarbeit übernimmt Silke schließlich das Booking. Von Cro bis Maxim über Asaf Avidan (den sie in Israel das erste Mal gesehen hat) und Kraftklub holt sie bis 2014 alle vielversprechenden Künstler in die Stadt, die das Festival sich leisten kann. „Das ist die längste Beziehung, die ich in meinem Leben geführt habe. Ich glaube, jeder der schon lange Beziehungen hinter sich gebracht hat, weiß, was das bedeutet“, sagt sie mit ein wenig Wehmut in der Stimme. Dann wirbelt Flimm, der entzückende Hund von Silke, ins Haus und sie lacht wieder. Außerdem, wer weiß, was noch passiert. Mit ihren gerade mal 29 Jahren kann Silke Stationen in Israel, Berlin, Düsseldorf und vor allem reichlich gebuchte Bands aufweisen. An der Hochschule Niederrhein ist die Master-Absolventin inzwischen als Dozentin tätig. In Gladbach fühlt sie sich erstmal „angekommen“. Im Dezember kommen die Beginner und die Sportfreunde Stiller zum Big Air-Snowboard-Spektakel in den Sparkassenpark. Ein kleines Hintertürchen lässt sie sich allerdings für die fernere Zukunft offen: „Da schlummert so ein kleiner Wanderzirkus in mir. Hamburg, oder auch das Ausland. Kanada. Israel ist vor allen Dingen für ältere Leute total geil. Da leben nur junge Leute und die Rentner können den ganzen Tag schöne junge Menschen angucken. Und es ist unglaublich geiles Wetter da.“

Diandra Mona Böning, Bloggerin, Mentorin, Freigeist

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Diandra im Café, Foto: menscheningladbach / Nadine Beneke

„Die schönste Ecke von Gladbach“

Als ich um die Ecke biege und das Café erreiche, sehe ich Diandra schon von Weitem. Sie trägt eine Lederjacke und einen Rock, ihre roten Haare leuchten warm im Tageslicht. Normalerweise, so erzählt sie mir, kommt sie mit ihrer besten Freundin ins Café. Wir setzen uns an den ihr vertrauten Stammplatz rechts vom Eingang und bestellen zwei Latte Macchiato. Diandra holt tief Luft und sagt, wie aufgeregt sie ist. Ihre blauen Augen strahlen. Die Nervosität ist vollkommen unnötig: Als die 27-Jährige Anfang April einen Beitrag zum Thema Feminismus auf ihrem Blog aussergewoertlich veröffentlicht, bin ich sofort Fan. Einerseits beeindruckt mich der Mut, dieses komplexe und wichtige Thema anzustoßen. Andererseits finde ich ihre ehrliche und tiefe Art zu schreiben toll. Persönlich kenne ich sie bis dahin nur von der Musik. 2013 haben wir zusammen in der Holter Kirche gesungen. Doch zunächst zu Diandras Wurzeln. Auf die Frage, wie lange sie schon in Gladbach wohnt, sagt sie: „Schon immer.“ Über Lürrip, Eicken und Pesch kommt sie vor knapp zweieinhalb Jahren an den Wasserturm. Dort wohnt sie seitdem zusammen mit ihrem Freund: „Ich hoffe, dass ich da noch lange bleiben werde. Das ist die schönste Ecke von Gladbach.“ Auch Udo ist für die junge Frau eine beliebte Anlaufstelle: „Das Sandrad ist einer der wenigen Orte in der Stadt, wo das Publikum so gemischt ist. Wo es egal ist, wie alt du bist und was du für Musik hörst. Du findest da so geile Platten und triffst Leute, die du sonst im Leben nicht triffst. Das mag ich sehr.“

„Texte im Kopf“

Ihren Blog schreibt sie zunächst nur für sich selbst, wie sie erzählt: „Jeder hat eine Sehnsucht, dunkle Sachen rauszulassen. In dem Moment, in dem du schreibst, bist du mit dir alleine. Du hast keine Augen, die dich angucken. Du hast nicht das Gefühl, dich bremsen zu müssen.“ Schnell sind wir uns einig, dass Schreiben eine Art von „Nackt-Sein“ ist. Weil man seine persönlichen Beobachtungen mit der Welt teilt, das Innerste nach außen kehrt. Klingt philosophisch, ist es auch. Zwischendurch müssen wir lachen, weil wir immer wieder abschweifen und froh sind, das schräge Erlebnis des Schreibens teilen zu können. Diandra lässt sich Zeit mit den Antworten, überlegt und bemerkt: „Das ist meine Art, Leuten zu zeigen, wie ich Sachen sehe. Eine Freundin hat mir gesagt, ich würde auf Sachen achten, die ihr nie auffallen würden. Da habe ich gedacht: Schön, dass ich es ihr erzählen kann.“ Dabei geht es um einen Raben, Neid, Edith Piafs „Je ne regrette rien“ oder um die wiederentdeckte Liebe zum Singen. Sehr persönlich gestaltet Diandra ihre Beiträge, die zum Nachdenken anregen und das Leben mit einem etwas wärmeren Licht beleuchten. Die Themen sucht die junge Frau deshalb auch nicht auf klassische Weise aus, sie passieren ihr einfach. Unterwegs fallen Diandra Dinge auf, die berühren – und prompt hat sie „Texte im Kopf“. Gelassen sagt sie: „Das ist so ein Selbstläufer.“ Dazu gehört auch, dass fest vorgenommene Inhalte nicht unbedingt ein Thema bleiben: „Ich wollte letztens über Loyalität schreiben, weil es mir auf der Seele brannte. Ich fand die Idee davon so toll, hatte aber überhaupt keine Gedanken dazu. Dann hab‘ ich es gelassen.“

Akustik Session im Blauen Haus
Akustik Session im Blauen Haus, Foto: N.E.B. Fotografie & Bildbearbeitung

„Meine Jam Session ist das Wohnzimmer“

Angefangen, ihre Texte öffentlich zu machen, hat die ausgebildete Mentorin für Soziales und Gesundheitswesen 2012 bei nachtaktiv. Dort las sie eine Kurzgeschichte über eine Disconacht vor. Das positive Feedback motivierte sie, weiterzumachen. Überhaupt ist die Nacht etwas, das Diandra umtreibt: „Ich trinke nicht viel Alkohol, aber ich liebe die Stimmung. Weil sie so ehrlich ist, so rau. Man merkt, was die Menschen gerne wären. Oder was sie verstecken. Das erzeugt bei mir Bilder und Geschichten. Ich hatte mal eine Zeit, da bin ich jede Woche zusammen mit einem Freund nach Duisburg gefahren ins Pulp. Und hab mich einfach hingesetzt und die Leute beobachtet.“ Auch auf der Waldhausener Straße gibt es allerlei zu sehen. Seit der Gründungssitzung 2009 ist die 27-Jährige Mitglied und engagiert sich im Blauen Haus und im Atelier. Über die Anfänge berichtet Diandra: „Mit einem Schlag warst du von Menschen umgeben, die Bock auf Kunst, Kultur und Musik hatten.“ Neben dem Studium in Bielefeld hilft sie deshalb im Atelierbetrieb und organisiert seit 2013 die Akustik Session im Blauen Haus. Sie strahlt über das ganze Gesicht, wenn sie über ihr Projekt spricht: „Meine Jam Session ist das Wohnzimmer. Wir sind manchmal zu viert und haben Abende, an denen wir uns vor allem unterhalten. Das sind dann Gespräche mit Leuten, die total unterschiedlich sind. Manchmal sind wir aber auch zwanzig Leute und es ist so laut, dass einem fast die Ohren platzen. Das ist cool. Das macht es für mich aus.“

„Ich find mich manchmal spießig“

Die Begegnung mit Menschen ist es, die Diandra auch in ihrem Job als Mentorin für Soziales und Gesundheitswesen fasziniert. Im Rahmen ihres Studiums verbrachte sie viel Zeit in Bethel. „Das ist ein krasser Teil von Bielefeld“, sagt sie, und fährt fort: „Da laufen ganz viele Menschen mit Behinderung rum. Es wird ganz anders miteinander gelebt. Das hat mir beigebracht, Leute nicht in Schubladen zu schmeißen. Und dass es völlig cool und normal ist, wenn Menschen mit Behinderung in Restaurants arbeiten und wie einfach das umzusetzen ist.“ Diandra selbst passt auch in keine Schublade und bemerkt selbstkritisch: „Ich erfahre gerade so viele Sachen über mich. Ich find mich manchmal so spießig.“ Jemand, der seine Kreativität auf so unterschiedliche Art auslebt und so einen offenen Geist hat, ist allerdings alles andere spießig. Das beweist auch Diandras außergewöhnlicher Stil, den sie selbstironisch beschreibt. Frage: „Wie würdest du deinen Stil beschreiben?“ Diandra: „Unten offen. Oh Gott, das hört sich unanständig an. Ich trage fast nie Hosen. Und ich mag halt gerne auffallen. Aber nicht genug, um das zu tragen, was alle mögen.“ Sie schwärmt von 50er Jahre-Mode, von Paketen, die ankommen und darauf warten, ausgepackt zu werden und von Ebay. Auf ihre leuchtenden Haare angesprochen, verrät sie: „Die habe ich schon mindestens sechs Jahre. Ich war vorher immer das Mädchen, das zwischen den ganzen Punks stand und die Haare hellblond hatte. Ich habe alles ausprobiert außer Schwarz. Aber ich glaube, das bin ich. Witzigerweise sprechen mich sehr viele Rentnerinnen an und fragen, von welcher Marke mein Haarton ist.“ Soviel sei verraten: Die Farbe ist von L’Oréal. Wer mehr von Diandras Stil, ihren feinen Gedanken und Beobachtungen lesen möchte, sollte dringend auf aussergewoertlich vorbeischauen. Auch auf Facebook.

Udo Eilers, Zum Sandrad

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Udo, Foto: Luisa Sole / Lulugraphie

„Alles schon passiert“

Schon durchs Fensterchen der Holztür sehen wir Udo an seiner Theke sitzen. Er trägt ein Holzfällerhemd und bereitet sich fast meditativ mit lauter Musik auf den Abend vor. Wir klingeln. Nichts geschieht. Wir klingen ein zweites Mal. Es surrt. Wir treten ein. Udo spritzt auf und verschwindet hinter der Theke. Mit unverkennbarer, dunkler Stimme fragt er: „Was kann ich euch zu trinken machen?“ Sofort kommt ein heimeliges Gefühl auf. Mit grazilen Bewegungen nimmt er Gläser zur Hand, befüllt sie mit Cola und Apfelschorle und stellt sie uns hin. „Ich habe schon zwei Mal angerufen“, sage ich, „wegen des Interviews.“ Er erinnert sich und sagt: „Du schreibst über Menschen in Gladbach? Da ist doch schon alles geschrieben.“ Vor 37 Jahren habe bereits jemand einen „sehr unterhaltsamen“ Artikel über ihn verfasst. Er scheint sich zu erinnern und schmunzelt kurz. Dann fügt er hinzu: „Es ist eigentlich alles schon passiert.“ Ich hoffe inständig, dass das nicht das Ende des Interviews ist – und bleibe sitzen.

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Raucher aus Leidenschaft, Foto: Luisa Sole / Lulugraphie

„Da krieg‘ ich die Krise“

Nach einer Weile nimmt Udo wieder auf dem Hocker neben mir Platz. Um kurz vor zehn sind meine Begleiterin und ich noch die einzigen Gäste. „Jetzt könnt‘ et langsam losgehen“, meint Udo – und fängt an zu erzählen: „Man sagte mir, ich sei der Wirt, der am längsten in der Altstadt ist.“ Im April werden es 37 Jahre. „Günther Netzer hat bei mir verkehrt. Grimmepreisträger, Ingo Appelt und Stefan Effenberg“, erzählt er. Zuvor leitete Udo fünfeinhalb Jahre eine „American Cocktail Bar“, das Karoo am Buscherplatz. Eine Klingel gab es hier in der Sandradstraße von Anfang an. „Mit Respekt ist das wunderschön“, sagt Udo – und formuliert es kurz darauf noch einmal drastischer: „Wenn jeder Arsch reinkommt, das geht gar nicht.“ Er verschwindet wieder hinter der Theke, durchsucht seine Musikschätze und legt behutsam eine Kassette ein. Tracy Chapman singt „Talkin‘ ‚bout a revolution“ und Udo deutet auf den Kassettenstapel im Regal: „Alles selbst zusammengestellt. Nix gekauft.“ Nach der Anzahl gefragt, antwortet der 69-Jährige: „Bei 750 habe ich aufgehört zu zählen.“ Aus über 1400 LPs von 1958 aufwärts bastelt der Gladbacher seine Mixtapes. Inzwischen auch Mix-CDs. Er sagt: „Ich liebe Musik. Musik ist grenzüberschreitend.“ Rock, Jazz, Hardrock und Blues haben es ihm angetan. „Was ich nicht mag, ist Rap. Da krieg‘ ich die Krise.“ Auch Free Jazz sei im Sandrad schwierig, meint er: „Das kannste nur zu Hause hören, da fällt einem ja das Bier aus der Hand.“

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Mit Ruhe und Bedacht: Udo, Foto: Luisa Sole / Lulugraphie

„Tolle Atmosphäre“

Zur Gastronomie kam Udo durch Zufall. Zunächst arbeitete er als Musterzeichner für Stoffe. „Das ist aber alles den Bach runtergegangen.“ Danach bewarb er sich mit einer Mappe bei Schwann in Düsseldorf – und bekam als Farbretouscheur und Layouter fortan das doppelte Gehalt. Später machte er sich selbstständig und arbeitete im eigenen Studio unter anderem für Gruner und Jahr: „Schöner Wohnen und der Stern, das waren unsere zwei Knaller“, erinnert sich Udo. Anfang der Siebziger ging er gerne aus, kellnerte zwischendurch in der Mieze in Düsseldorf. Sein Lieblingslokal aber war das Karoo in  Hermges. Als die Bar verkauft werden sollte, sagte Udo kurzerhand: „Dann übernehm ich das.“ Er legte los – und war verzaubert. „Diese Atmosphäre war toll! Verschiedene Leute, Intellektuelle, viele Kulturen.“ 1979 zog er an den wohlbekannten Standort um, „weil das zentraler war“. Es klingelt, und drei junge Männer treten ein. Udo zapft das gewünschte Bier mit Seelenruhe und vorbildlicher Schaumkrone. Zwischendurch verschwindet er hinter einer Schiebetür mit RY- und „Farbe bekennen, Rassismus ächten“-Aufklebern – dem Vorratsrraum. Geboren ist Udo in der Neustraße, und damit ein „Rheydter Jung“, wie er erzählt. Fragt man ihn, ob er Kinder hat, sagt er: „Ihr seid alle meine Kinder!“ Klar ist, die Atmosphäre, die er selbst beim Ausgehen bewundert hat, vermittelt er im Sandrad allemal. Mit seiner Art, der urigen Einrichtung, Kerzenschein und leckerem „Schmunzelsüppchen“ (Alt). Und ja, natürlich auch mit seiner Frisur.

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Sandrad und Udo sind einzigartig, Foto: Luisa Sole / Lulugraphie

„Nicht getönt, nicht gefärbt“

Auf diese angesprochen, sagt er trocken: „Ich bin so geboren worden. Naja, fast.“ Udos Augen leuchten beim Erzählen und er fügt hinzu: „Nicht getönt, nicht gefärbt. Das habe ich von meiner Mama geerbt.“ Zehn Minuten braucht er im Bad. Die Frisur richtet er mit der Rundbürste. Er gestikuliert ein bisschen wie ein Dirigent und erzählt: „Gleich kommt noch meine Freundin. Das kannste hier nicht alleine machen am Wochenende.“ Sonntags und montags bleibt das Sandrad geschlossen: „Man braucht ja auch ein bisschen Privatsphäre.“ Inzwischen sind ein paar Leute mehr eingetrudelt. Ein Mann, der auf seinem Smartphone herumtippt, und eine Frau. Diese begrüßt Udo mit einem schmissigen „Sei gegrüßt! Jacky?“ Die Frau nimmt heute ein Weizen, welches der Wirt sofort mit sensationeller Krone serviert. Udo schmeißt seinen eigenen Turbo an und huscht von Gast zu Gast, für jeden ein freundliches bis ermahnendes Wort auf den Lippen. Zu laute Gäste beispielsweise werden schon mal mit beschwichtigender Geste und den Worten „Macht mal Piano“ bedacht. Heute ist Udo aber sehr beschwingt und schnipst und wippt zu erklingenden Reggae-Rhythmen. „Gladbach ist ein Dorf geworden“, ruft er mir zu. „Früher wäre um diese Uhrzeit draußen eine bunte Menschenmasse gewesen.“ Deshalb lässt er seinen Laden auch an allen Tagen so lange offen, wie die Leute kommen. Verschmitzt sagt er: „Damit die Studenten noch was zu erzählen haben.“ Auch wenn Freunde ihm inzwischen ein Notfallhandy besorgt haben, „falls mal was sein sollte“ und zwischendurch der Notdienst anruft, um zu hören, ob im Sandrad alles in Ordnung ist – Udo denkt noch lange nicht ans aufhören. Oder wie er sagt: „Meinen Sarg hab ich noch nicht bestellt.“ Mehr noch: Als er gefragt wird, ob er die 40 Jahre noch voll machen will, antwortet er trocken: „Drei Jahre sind doch nix!“ So ein Glück.

Zum Sandrad, Sandradstraße 9, Mönchengladbach

Dienstag bis Samstag: 21 Uhr – Ende offen

Alle wundervollen Fotos dieser Geschichte hat Luisa Sole, die auch auf meinem Blog zu finden ist, beigesteuert. Tausend Dank! ❤

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Auf Udo! Foto: Luisa Sole / Lulugraphie

Neues Jahr, neues Glück – und jetzt kommt ihr!

Blog
Prosit aufs neue Jahr! ❤ Foto: Nadine Beneke / menscheningladbach

Da ist es also, dieses 2016. Momentan befinde ich mich noch ein wenig im Winterschlaf und plane, was das Jahr so bringen soll. Neben einer Reise nach Krakau habe ich mir vorgenommen, wieder in den 10 Kilometer-Trainingsplan einzusteigen, glücklich zu sein, Konfetti zu verstreuen und mehr zu tanzen. 🙂

Viele Ideen für tolle Portraits habe ich außerdem. Ganz alleine entscheiden möchte ich aber nicht. Es gibt schließlich viele großartige Gladbacher, die ich (noch) gar nicht kenne. Deshalb seid ihr gefragt: Wen wollt ihr unbedingt hier sehen? Wer hat es sowas-von-verdient, der Öffentlichkeit vorgestellt zu werden? Weil er/sie euer Held, eure große Liebe, sozial/kulturell/sonstwie engagiert ist? Oder für euch einfach wunderbar? Schreibt mir gerne eine Mail oder schickt mir eine Nachricht auf Facebook. Ich freue mich auf euren Input. Auf dass das neue Jahr ein gutes und positives wird. ❤

Eure Nadine

Sophie Knops, Musikerin 

 

Strahlt mit dem Tannenbaum um die Wette: Sophie; Foto: Nadine Beneke / menscheningladbach

 

Zupfinstrumentebauerin

Wieder im Van Dooren. Wieder bei einem Chai Tee mit Milch. (Und nein, ich mache wirklich keine Schleichwerbung!) Auch meine heutige Interviewpartnerin hat sich den warmen Rückzugsort am Schillerplatz als Treffpunkt gewünscht. Das Café erreicht sie fußläufig von zu Hause aus. Das erste Mal getroffen habe ich Sophie Knops in einem Krefelder Irish Pub. Ihre Stimme, die Tiefe ihrer Musik und ihr sehr eigenes, filigranes Gitarrenspiel haben mich direkt beim ersten Konzert begeistert. Deshalb traf ich die damalige Schülerin wenig später zum Interview im Eiscafé am Vitus Center, um mehr über ihre Musik zu erfahren. Heute, zwei Sophie-Alben, viele Auftritte und drei Jahre später, kommt die Gladbacher Singer/Songwriter-Slam-Gewinnerin von 2012 mit einem Blazer durch die Tür, lacht und erklärt das schicke Outfit mit: „Du willst ja bestimmt ein Foto machen.“ Die 18-Jährige hat im Sommer die Schule mit dem Abi abgeschlossen und ist seit August Auszubildende. Der Beruf, den sie sich ausgesucht hat, passt zu ihrer Leidenschaft: „Zupfinstrumentebauerin. Manchmal muss ich das Wort tausend mal wiederholen, weil die Leute nicht wissen, was das ist. Ich könnte auch sagen Gitarrenbauerin. Aber wir bauen halt nicht nur Gitarren“, erklärt sie.

„Viel praktisches Gedöns“

Bässe, Mandolinen, Ukulelen, Zithern, Harfen, Gitarren und viele weitere Saiteninstrumente werden in der Schwalmtaler Werkstatt von Helmut Stauder gebaut. Für Sophie bedeutet das „viel praktisches Gedöns“. Im Klartext: Schleifen, Feilen, aber auch technisches Zeichen. Letzteres lernt sie ab Januar in der Berufsschule im bayerischen Mittenwald. So manche Blessur an der Hand zog sich die 18-Jährige bei der handwerklichen Arbeit schon zu. „Einmal habe ich mir die Haut auf der Handoberflache abgeschabt“, sagt sie und ich bekomme Gänsehaut. Schnell zurück zu den Instrumenten: Ihr erstes Projekt war ein Dulcimer. Als ich erst pseudo-wissend nicke und dann doch fragen muss, was das ist, erklärt Sophie lachend: „Das ist ein Brett mit einem Griffbrett drauf. Die Bünde sind nicht so eng wie auf der Gitarre. Das Instrument kommt ursprünglich aus Nordamerika. Und man spielt es auf dem Tisch oder auf dem Schoß.“ Momentan arbeitet sie an einem Bass für ihren Freund und darf bald auch eine E-Gitarre für sich selbst bauen. Gelandet ist Sophie bei Helmut, der sie väterlich in die Kunst des Instrumentebaus einweist, durch einen Tipp von André Sole Bergers (MG KITCHEN TV). Nach einem Schul-Praktikum und Ferienjobs in der Werkstatt kam sie eines Tages nach Hause und verkündete: „Das ist, woran gerade mein Herz hängt. Warum sollte ich das nicht machen?“ Gesagt, getan.

 

Foto-Session vor dem Tannenbaum; Foto: Nadine Beneke / menscheningladbach

 

„Richtig cool“

Jeden Morgen setzt sich Sophie nun ins Auto und fährt nach Schwalmtal in die Werkstatt, „ziemlich auf dem Feld, am Arsch der Welt.“ Chef Helmut, der Stauder-Bier-Verwandte, hat übrigens keine eigene Homepage. Werbung findet lediglich durch Mund-zu-Mund-Propaganda statt. Längst hat sich die Werkstatt als Institution für den Niederrhein etabliert. Eine große Motivation für Sophie ist, sich irgendwann eine akustische Gitarre bauen zu können: „In zwei Jahren, wenn ich die Ausbildung fertig, ein paar Sachen wie Schleifen oder Feilen besser drauf habe, und ein bisschen mehr Gefühl für das Holz, werde ich mich an die akustische Gitarre heranwagen. Die soll dann ja auch richtig cool werden.“ Richtig cool passt dann nur zu gut zu Sophies Musik, die sie im Schnitt drei Mal im Monat live spielt. Bevor sie ihre Leidenschaft für Zupfinstrumente entdeckte, lernte Sophie im Kindesalter bei Herrn Kerkeling an der Mönchengladbacher Musikschule Klavier. Wie die 18-Jährige verrät: „Das ist der Cousin von Hape Kerkeling – Burkhard.“ Inzwischen plant die Songwriterin ihr drittes Album, büffelt in ihrer Freizeit Musiktheorie und spielt in einem neuen, soulig-funkigen Projekt E-Gitarre.

„Meine zweite Leidenschaft“

Nur ein anderes Hobby hätte der Musik übrigens noch Konkurrenz machen können: „Meine zweite Leidenschaft ist der Fußball“, erzählt Sophie und fügt wie nebenbei hinzu: „Ich habe auch mal bei Gladbach gespielt.“ Im Kindesalter trainierte sie von 2006 bis 2008 bei Borussia und absolviert das Nationalmannschafts-orientierte Programm voller Motivation: „Mir hat das unheimlich Spaß gemacht. Ich habe viel gelernt. Das ist bis heute noch alles in meinem Kopf.“ Als sie dann in die fünfte Klasse kommt, viele ihrer Freunde sich in andere Vereine verabschieden und Bänderrisse folgen, entscheidet sie sich gegen den Fußball und für die Musik. Die Spiele der Borussia verfolgt sie natürlich noch immer regelmäßig. Dennoch dürften alle Zuhörer der gleichen Meinung sein: eine gute Entscheidung, statt Sport Musik zu machen! Nach ihren Wünschen für 2016 gefragt, sagt die junge Frau nur: „Glücklich sein.“ Das kommende Album soll übrigens nach „mehr Fingerstyle“ klingen und „den Fokus auf der Gitarre“ setzen. In diesem Sinne: 2016 kann kommen. ❤